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Wickelpedia - Warum Vater nicht alles ga-ga-ganz genau nehmen sollten

Wenn in alten Filmen jemand Vater wird, sieht das so aus: Er sitzt mit einem Blumenstrauß vor dem Kreißsaal und wird irgendwann reingerufen. Heutzutage sind die Flure einer Geburtsstation natürlich leergefegt, schließlich wollen alle Männer das anwenden, was sie vorher im Hechelkurs gelernt haben. Und sollten sich doch Exemplare auf den Gang verirren, dann stehen sie in kleinen Grüppchen zusammen und diskutieren hitzig. Aber nicht über die aktuellen Bundesliga-Ergebnis. Nein, die Herren reden sich die Köpfe darüber heiß, welcher „Beruhigungssauger“ – früher als Schnuller bekannt – die neuronale Entwicklung ihres Babys am besten fördert und ob Modelle aus Silikon oder Naturkautschuk zu bevorzugen seien.

 
Es sind eben nicht normale Väter, die da auf dem Gang fachsimpeln, sondern so genannte Neue Väter – angeblich die letzte Stufe in der Evolution des Mannes. Viel vorgenommen haben sie sich, die neuen Vatertiere, wollen Windeln wechseln, Zäpfchen abfeuern und sich nicht wie ihre alten Herren auf Dienstreisen absetzen. Immer getreu dem bekannten Lied von Herbert Grönemeyer: „Männer machen alles ga-ganz genau.“ Übrigens steckt nicht zufällig das Wort „ga-ga“ in diesem Satz.
 
Wie ga-ganz genau es der Neue Vater nimmt, lässt sich auf Spielplätzen beobachten. Bepackt wie auf dem Weg zum Nanga Parbat rücken die Väter Version 2.0 hier jeden Morgen an, im Gepäck die Tupperdose mit Karottensticks, natriumarmes Mineralwasser und natürlich Sonnenschutz. Vor allem Sonnenschutz, denn ein Kind darf heutzutage nur noch so viel Sonne abkriegen wie Darth Vader aus „Star Wars“. Als erstes fischt der Neue Vater aus seinem Rucksack die obligatorische UV-Schutzmütze, natürlich mit umlaufendem Nackenlappen. Dann folgt die Sonnenbrille mit Gummizug, die auch für Schweißarbeiten zugelassen ist. Apropos Schweiß: Zum Schluss zwängt der Vater seinen kleinen Sonnenschein in eine Art Taucheranzug, der von Kopf bis Fuß Lichtschutzfaktor 80 verspricht. Und Spaßfaktor Null.
 
Für den Neuen Vater muss es eben alles perfekt sein. Das gilt auch für die geistige Förderung. „Säts gräit“, schallt es heutzutage quer über den Spielplatz, wenn der Nachwuchs die Rutsche erklimmt. Das soll Englisch sein und heißt soviel wie „Das war toll!“. Es geht eben sehr international zu in den Brutstätten des Exportweltmeisters. Unglaublich, aber wahr: Viele (deutsche) Eltern sprechen mit ihrem Nachwuchs Englisch, um ihn so für eine Führungsposition in einem Weltkonzern fit zu machen. Aus dem Kreißsaal in den Sprachkurs, so lautet das Motto.
 
Aber muss der ganze Zirkus wirklich sein? Sicher nicht. Im Gegenteil: Die meisten neuen Überpapis täten gut daran, sich auf die traditionelle Hauptaufgabe eines Vaters zu besinnen – für ein gesundes Maß an Vernachlässigung sorgen. Auf dem Spielplatz zum Beispiel: Die ganze Achttausender-Ausrüstung kann in Wirklichkeit zuhause bleiben, tatsächlich gebraucht werden nur eine Windel, eine kleine Packung feuchte Taschentücher und im Sommer Sonnenmilch. Das passt locker in die Innentasche eines Jacketts und trägt nicht auf. Alles andere lässt sich genauso gut an der Tankstelle oder beim Kiosk beschaffen.
 
Überhaupt sollten sich die Neuen Väter nicht von den Perfektionisten aus den Balsamico-Bezirken dieser Republik kirre machen lassen. Die wahren Vorbilder der mühelosen Betreuung finden sich in prekären Verhältnissen: In solchen Kreisen sind McDonald‘s, Toys'R'Us und Indoor-Spielplatz die Ausflugsziele, und sie werden selbstverständlich mit dem Auto angesteuert. Die Herren hier wissen, wie man einen Babytag locker durchzieht. Sie fahren zum Fastfood-Tempel, holen sich einen Kaffee – das beiliegende Stück Milka bekommt selbstverständlich das Kind – und warten ab, bis sich die Brut in der Spiellandschaft abreagiert hat. Dann wird an Ort und Stelle noch das Abendessen eingekauft und fertig. Einziger möglicher Kollateralschäden eines solchen Programms: Das Kind backt im Sandkasten nach einiger Zeit nicht mehr Kuchen, sondern nur noch „Börger“.
 
Das kann zu peinlichen Momenten führen – vor allem wenn andere Neue Väter oder Mütter dabei sind. Denn bei kaum einem Thema reagieren moderne Eltern so sensibel wie bei der Ernährung. Und um es kurz zu machen: Fast alles, was Kindern früher gefüttert wurde, gilt heute als Giftstoff – vom bösen Hamburger ganz zu schweigen. Selbst die zermatschte Banane, von Müttern über Jahrzehnte gedankenlos verabreicht, steht längst auf der schwarzen Liste: Wer sein Kind nicht auf der Stelle töten will, verfüttert nur die Mitte der Frucht; die Enden enthalten zu viel Natrium, Nitrit, Nitroglyzerin oder was auch immer.
 
Zu all den unüberschaubaren Ernährungsregeln, die jeder Neuer Vater angeblich kennen muss, kommen obendrein die jeweils aktuellen No-nos: In einem Jahr gilt Gluten als nahezu tödliches Gift, im nächsten ist es Laktose oder Sojaprotein. Wobei sich die Hysterien des Tages durchaus widersprechen können. Was gestern noch im Verdacht stand, Allergien auszulösen, stärkt morgen schon das Immunsystem und sorgt für Topnoten im Abitur.
 
Also stellt sich der Neue Vater jeden Tag an den Herd, um einen frischen Kohlrabi-Mus anzurichten, der zu 100 Prozent auf dem Lätzchen landet. Eine massive Zeitverschwendung, die sich mit ein bisschen so genannter Arbeitsteilung leicht verhindern lässt: Ein Löffelchen für Claus Hipp, der so leckere Nudeln im Gläschen herstellt, ein Löffelchen für die Firma Severin, die so praktische Mikrowellenofen zum Aufwärmen baut – und schon ist das Thema Ernährung geritzt.
 
Ab dem ersten Lebensjahr wird die Verpflegung noch einfacher: Dann bekommt das Kind genau dasselbe wie die Eltern, bloß klein geschnitten oder zermatscht. Dass die gewürfelte Leberwurststulle laut Ernährungsmafia erst ab dem 14. Lebensjahr zugelassen ist, kann getrost ignoriert werden.
 
Selbst beim größten, ja fast heiligen Thema aller Neuen Eltern, der Erziehung, schadet ein bisschen Laissez-faire nicht. Vor allem Väter reiben sich oft völlig auf, um irgendwelche Regeln durchzudrücken, die sie im Fernsehen bei der Supernanny aufgeschnappt haben. Totale Energieverschwendung. Wer als Vater die Elternzeit stressfrei überstehen will, sollte ab und zu die so genannte Sicht-Erziehung betreiben. Es gilt das Prinzip: Was der Schiri nicht sieht, muss er auch nicht pfeifen. Taktisches Weggucken ist gefragt, zum Beispiel in Situationen wie dieser: Die Kinder essen mit den Händen statt – wie gefordert – mit dem Löffel. Wie reagiert der erprobte Sicht-Erzieher? Er studiert während der Mahlzeit einfach den Katalog vom Elektronikmarkt, der im Briefkasten lag. So sieht er den Regelverstoß nicht – und muss ihn auch nicht ahnden.
 
Und so geht es weiter: Butterkeks sticht Reiswaffeln, Hüpfburg schlägt Baby-Yoga, und die gute alte Autorunde um den Block schläfert Kleinkinder immer noch schneller ein als die gleiche Runde im ökologisch-korrekten Fahrradanhänger. Manchmal lohnt es sich eben auch für Neue Väter, die Dinge ein bisschen wie die alten zu handhaben – und nicht alles ga-ganz genau zu nehmen.  
 
Constantin Gillies ist Vater von zwei Kindern und Autor des Buchs „Wickelpedia“ (Ullstein 2010, 190 Seiten, 7,95 Euro)

 

 
 
Literaturempfehlungen:

Wickelpedia: Alles, was man(n) übers Vater werden wissen muss

Hebammen mit zweifelhaftem Halbwissen, bissige Spielplatzmütter, eine von Ärzten und Schwiegermüttern getragene Besorgnisindustrie: Das sind nur einige Begleiterscheinungen des Elterndaseins. Wickelpedia liefert die wichtigsten Überlebenstipps für junge Väter - witzig, prägnant und garantiert politisch unkorrekt.